AssetAllocationForum | China: Hoffnungslose Blackbox oder attraktiver Einstiegszeitpunkt?

Das radikale Eingreifen der chinesische Regierung hatte in den vergangenen Wochen zu signifikanten Kursverlusten geführt und viele Investoren auf dem falschen Fuß erwischt. Kann man nach diesem Newsflow als (westlicher) Investor bzw. Treuhänder überhaupt noch seriös in chinesische Aktien investieren? e-fundresearch.com hat im Rahmen der neuesten Ausgabe von #AssetAllocationForum Fondsmanager, Analysten, CIOs, Kapitalmarkstrategen und Asset Allokatoren um ihre Einschätzungen gebeten. Research | 02.09.2021 10:08 Uhr
Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

 e-fundresearch.com #AssetAllocationForum | China: Hoffnungslose Blackbox oder attraktiver Einstiegszeitpunkt?

Von öffentlicher Kritik an Tech-Unternehmen bis hin zur staatlichen verordneten Transformation von Nachhilfe-Plattformen in Non-Profit-Organisationen: Das radikale Eingreifen der chinesische Regierung hatte in den vergangenen Wochen zu signifikanten Kursverlusten geführt und viele Investoren auf dem falschen Fuß erwischt.

Marktteilnehmer stellen sich nun berechtigterweise die Frage, ob sich der chinesische Kapitalmarkt damit endgültig zur nicht investierbaren Blackbox entwickelt hat oder sich gerade jetzt ein äußerst attraktiver Einstiegszeitpunkt für Langfristinvestoren ergibt.

Um unserer Leserschaft einen möglichst breiten Überblick darüber verschaffen zu können, wie Expert:innen die aktuelle Lage einschätzen, haben wir Fondsmanager, Analysten, CIOs, Kapitalmarkstrategen, Dachfondsmanager, Fondsselektoren und institutionelle Investoren aus dem e-fundresearch.com Netzwerk mit folgender konkreter Fragestellung konfrontiert:

#AssetAllocationForum // Die Frage der Stunde:

Wie haben Sie auf die jüngsten Ereignisse am chinesischen Kapitalmarkt reagiert und: Kann man nach diesem Newsflow als (westlicher) Investor bzw. Treuhänder überhaupt noch seriös in chinesische Aktien investieren?

Alle Expertenstatements haben wir Ihnen in der nachfolgenden Antwortgalerie sowie weiter unten auch als Antwortauflistung übersichtlich zusammengefasst - wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre und wertvolle Anregungen für Ihre Asset Allokation:

Hagen Ernst, Stellvertretender Leiter Research & Portfoliomanagement, DJE Kapital AG
© DJE Kapital AG

Hagen Ernst, Stellvertretender Leiter Research & Portfoliomanagement, DJE Kapital AG

Plausible Ziele müssen nicht abschrecken: Der weitere Weg chinesischer Tech-Werte ist schwer einzuschätzen, weil nicht klar ist, ob und welche Regulierungen noch folgen. Wir haben unser Exposure deutlich reduziert, um auf Nummer sicher zu gehen. Bei Education-Aktien waren wir früher engagiert, zuletzt aber nicht mehr. Bei den Tech-Riesen hatten wir größere Positionen, die wir zu großen Teilen verkauft haben. Allerdings verfolgen Chinas Machthaber plausible Ziele: Nachhaltigkeit, mehr Datenschutz und Wettbewerb bzw. Machtbegrenzung einzelner Konzerne, gerechtere Löhne, Jugendschutz und gleiche Bildungschancen für alle. Die bislang verhängten Maßnahmen dürften das Gros der chinesischen Tech-Werte nur am Rande betreffen. Künftiges Wachstum muss aber nachhaltiger werden. Internetriesen wie Tencent oder Alibaba werden vermutlich etwas langsamer als der Markt wachsen, damit andere Anbieter Marktanteile gewinnen. So wäre es denkbar, in Sparten zu investieren, die weniger sensibel gegenüber Regulierungen sind, also etwa eher E-Commerce als Computerspiele. Mehr Wettbewerb ist für Alibaba als E-Commerce-Anbieter zwar von Nachteil, könnte sich aber für dessen kleinere Mitbewerber auszahlen.
Natasha Ebtehadj, Portfoliomanagerin für globale Aktien, Columbia Threadneedle Investments
© Columbia Threadneedle Investments

Natasha Ebtehadj, Portfoliomanagerin für globale Aktien, Columbia Threadneedle Investments

Viele Marktteilnehmer fragen sich, ob Investitionen in China angesichts der neuen politischen Gangart dort angebracht sind. Unserer Meinung nach ist es zu früh, um konkrete Schlüsse zu ziehen. Denn unserem Verständnis nach bekennt sich die chinesische Regierung nach wie vor zu den Prinzipien des Marktes. Verbote hinsichtlich der Gewinnorientierung von Unternehmen dürften sich auf den Bildungsbereich beschränken.

Die chinesische Wirtschaft entwickelt sich weiter. Dazu gehört, dass einige Unternehmen ihre Geschäftsmodelle anpassen. Wie die Gewinnprofile dieser Firmen in drei bis fünf Jahren aussehen werden, ist unklar. Unserer Schätzung nach betrifft dies etwa 40 Prozent des chinesischen Aktienmarktes. Infolgedessen dürfte es teilweise zu Bewertungsabschlägen kommen.

Gleichzeitig bleibt China die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, so dass sich weiterhin Anlagechancen bieten. Wir halten einige Unternehmen mit signifikantem China-Geschäft. Und wir sind optimistisch, was deren Wachstumsaussichten angeht – insbesondere, wenn ihre Geschäftsmodelle in Einklang mit den politischen Zielen stehen. Beispielsweise dürften Chinas Pläne zur Dekarbonisierung Herstellern von Elektrofahrzeugen und deren Zulieferern Rückenwind bescheren.
Brian Bandsma, Portfolio Manager, Vontobel Asset Management
© Vontobel

Brian Bandsma, Portfolio Manager, Vontobel Asset Management

Wer in China investiert, sollte sich im Klaren sein, dass die Entscheidungen der KPCh absoluten Vorrang haben. Unternehmen haben keine Möglichkeit, sich vor Gericht zu verteidigen. Auch wenn das chinesische Bekenntnis zu Kapitalmärkten und Privateigentum weiterhin Bestand haben dürfte, sollte klar sein, dass Investitionen in China mit einem erhöhten Risiko einhergehen.

Es mehren sich die Anzeichen, dass die Regierung erkennt, bei den Veränderungen zu schnell gewesen zu sein und dass ein ungeordneter Abverkauf an den Märkten die Volkswirtschaft schädigen kann. Daher ist damit zu rechnen, dass bald mehr getan wird, um den Abverkauf zu stabilisieren.

Sollte die Regierung ihr Ziel erreichen, den finanziellen Druck auf Haushalte und kleinere Unternehmen zu mindern, so wäre der erste Vorteil ein Anstieg der Ausgaben für zyklische Konsumgüter. Folglich dürften Unternehmen, die Basiskonsumgüter, zyklische Konsumgüter oder Reise- und Unterhaltungsangebote verkaufen, besonders schnell profitieren. Angesichts dieser Herausforderungen sollten sich Anleger auf die Zielsetzung der chinesischen Regierung abstimmen oder versuchen, nicht in jene Unternehmen zu investieren, die diesen Zielen im Wege stehen.
Mag. Patrick Poik, Head of Portfoliomanagement, MKP Invest Gesellschaft mbH
© Simon Kupferschmied Fotografie

Mag. Patrick Poik, Head of Portfoliomanagement, MKP Invest Gesellschaft mbH

Chinas Tech- und Internet-Giganten sind in das Visier der Behörden ihres Landes geraten. Von einer unerwartet massiven Regulierung war auch der private Bildungssektor betroffen: Die Aktie des E-Learning Anbieters TAL-Education verlor nach der Bekanntgabe, dass im Bildungssektor keine Gewinne mehr erwirtschaftet werden dürfen, an nur einem Handelstag -70% an Wert.

Das Umfeld für chinesische Unternehmen mit Tech- und Internet-Bezug wird schwierig bleiben; weitere negative Nachrichten sind nicht auszuschließen. Die Regulierungsoffensive der chinesischen Regierung, die ja bereits aus der Vergangenheit für ihre harte Linie bekannt ist, könnte durchaus auch noch länger anhalten.

Trotzdem wäre es möglich, dass sich die Redewendung "politische Börsen haben kurze Beine" bewahrheitet: Langfristig gesehen könnte der Rücksetzer bei chinesischen Aktien ein guter Einstiegszeitpunkt für spekulativ orientierte Investoren sein. Die Wachstumsaussichten des chinesischen Marktes bleiben attraktiv, ausgewählte Unternehmen weisen nach der jüngsten Korrektur eine historisch günstige Bewertung auf.
Nick Payne, Head of Strategy, Global Emerging Markets Focus, Jupiter Asset Management
© Jupiter

Nick Payne, Head of Strategy, Global Emerging Markets Focus, Jupiter Asset Management

100 Jahre nach Gründung der KPCh ist ein Umdenken der Regierung zu beobachten. Statt Wachstum um jeden Preis steht nun sozial inklusives Wachstum mit nachhaltigen Ergebnissen im Fokus. Die Regulierungszyklen sind jedoch nicht neu. Das harte Durchgreifen gegen private Bildungsunternehmen ist etwas anderes, aber schon vor einigen Jahren sagte Präsident Xi, dass er in diesem Bereich kein privates Kapital wünscht. Bei der Verschärfung der Vorschriften für Techunternehmen geht es um den individuellen Datenschutz (nach Vorbild der EU-DSGVO), verbessertes Arbeitsrecht und strengere Kartellvorschriften. Viele dieser Maßnahmen verdeutlichen, dass Unternehmen innovativ sind und neue Märkte erschlossen haben – und zwar so schnell, dass die Regulierungsbehörden nicht Schritt halten konnten.

Unsere Global Emerging Markets Focus Strategie weist im Vergleich zur Benchmark weiterhin ein unterdurchschnittliches China-Exposure auf, jedoch wird China für uns eine wichtige Quelle für Anlagemöglichkeiten bleiben. Wir haben die jüngste Kursschwäche genutzt, um Positionen in China selektiv aufzustocken und zwei neue Positionen in Unternehmen einzugehen, die nicht direkt von der Regulierung betroffen sind.
Mike Kerley, Portfoliomanager, Janus Henderson Investors
© Janus Henderson Investors

Mike Kerley, Portfoliomanager, Janus Henderson Investors

Die Maßnahmen selbst waren keine große Überraschung. Was einige Anleger vielleicht überrascht hat, ist das Ausmaß und der Zeitpunkt. Der Befehl von oben wurde von den Regulierungsbehörden überstürzt und ohne Koordination oder Berücksichtigung der Konsequenzen umgesetzt. Es war allerdings nur eine Frage der Zeit, bis der Internet-Sektor so groß wurde, dass er die staatlichen Zuständigkeiten tangiert. Und gleichzeitig war klar, dass ein Übermaß an Profitabilität in Kernbereichen wie Bildung, Gesundheit und Eigentum nur eine gewisse Zeit lang toleriert werden würde.

Zweifellos haben die neuen Regularien den Markt verunsichert. Kurz- bis mittelfristig wird dies andauern, aber sich legen, sobald wieder auf die Unternehmen und nicht auf die Regierungspolitik geachtet wird. Wir vermuten, dass die Gewinnkorrekturen in den kommenden Monaten gering ausfallen werden, da die Analysten ihre Margenerwartungen anpassen. Wir gehen davon aus, dass die Erträge weiterhin im Einklang mit einer Wirtschaft mit einem hohen einstelligen nominalen BIP-Wachstum wachsen werden, sodass sich vermutlich weiterhin Chancen ergeben werden.
David Striegl, Leiter Aktienfondsmanagement, KEPLER-FONDS Kapitalanlagegesellschaft
© KEPLER-FONDS KAG

David Striegl, Leiter Aktienfondsmanagement, KEPLER-FONDS Kapitalanlagegesellschaft

Selbstverständlich beobachten auch wir die News aus China ganz genau und sehen aktuell einen nervösen Markt, ausgelöst durch harte Regulierungsmaßnahmen, viele Unklarheiten und eine möglicherweise übertrieben negative Nachrichtenstimmung. Langfristig sind wir dennoch von Chinas wirtschaftlicher Entwicklung überzeugt und daher in Aktien chinesischer Unternehmen investiert. Allerdings legen wir bei unseren Investmententscheidungen Wert auf eine attraktive Bewertung der Unternehmen. Dieser Fokus hat uns bei den aktuellen Kursverlusten der relativ teureren China-Techs auch geholfen, positive Selektionsbeiträge mit chinesischen Aktien im Vergleich zum Gesamtmarkt zu erwirtschaften. Nichtsdestotrotz würde es uns nicht überraschen, wenn die Härte und Geschwindigkeit der Regulierung in China kurzfristig zu weiteren Kursrücksetzern führen würde. In diesem Fall wären wir als langfristig orientierter Asset Manager auch bereit, unser China-Exposure antizyklisch auf günstigen Niveaus zu erhöhen. So haben wir zuletzt beispielsweise eine kleine Position in der schwer getroffenen New Oriental Education & Technology Group Aktie in unserem KEPLER Ethik Aktienfonds aufgebaut.
Karl Freidl, Leiter Vermögens- /Fondsmanagement, Steiermärkische Bank und Sparkassen AG
© Steiermärkische Sparkasse

Karl Freidl, Leiter Vermögens- /Fondsmanagement, Steiermärkische Bank und Sparkassen AG

Aus unserer Sicht sind die Probleme bei chinesischen Aktien nicht ausschließlich auf das radikale Eingreifen in bestimmten Bereichen zurückzuführen. China hat seit Ausbruch der Corona-Krise die Notenpresse weit weniger angeworfen als vor allem die USA und Europa, sondern im Jahr 2021 die Kreditvergabe sogar gedrosselt. Dass neben vielen anderen Bereichen auch die Öffnung des Kapitalmarktes nicht von einem Tag auf den anderen erfolgt und auch sonstige Überlegungen eine gewisse Rolle spielen, sollte nicht zu stark beunruhigen. Auch die USA haben schon börsennotierte Firmen unter dem Vorwurf der Monopolstellung zerschlagen, etwa die Telefongesellschaft AT&T in den 1980er Jahren. Auch aktuell werden die Stimmen immer lauter, von Seite der Regierung etwas gegen Big Tech (Google und Co.) zu unternehmen. Aus unserer Sicht gehören chinesische Aktien mehr denn je in ein breit gestreutes Portfolio und wir stellen erste Überlegungen an, diese zu gegebener Zeit günstiger nachzukaufen. Chinas wirtschaftliche Transformation von einem Agrar- hin zu einem Industrieland ist nicht aufzuhalten und wird sich zunehmend auch an den Kapitalmärkten und der Börse widerspiegeln.
Catherine Yeung, Investment Director, Fidelity International
© Fidelity

Catherine Yeung, Investment Director, Fidelity International

Die jüngsten regulatorischen Änderungen bekräftigen unsere Ansicht, dass die politischen Entwicklungen in China weiterhin eng überwacht werden müssen. Sie bleiben ein Faktor bei Investitionen in China und müssen in das eigene Risiko-Rendite-Profil einbezogen werden.

Niemand kann die Details jeder politischen Maßnahme vorhersagen (wie z. B. die jüngste im Bereich Bildung), aber es ist wichtig, den historischen Kontext und die längerfristigen Ziele im Auge zu behalten. China hat klare Prioritäten in puncto Wirtschaftswachstum, darunter die (erneute) Verdopplung des Pro-Kopf-BIP bis 2035. Ein vitaler Privatsektor ist für die Erreichung dieses Ziels unerlässlich. Der Fokus auf Innovation wird ebenfalls immer wichtiger - viele der Unternehmen in den nun besprochenen Sektoren sind nicht nur große Arbeitgeber und Wachstumsmotoren, sondern auch Innovationsmotoren. China hat auch keinen Hehl aus seinen Zielen gemacht, was die Entwicklung seiner Kapitalmärkte und die Internationalisierung des RMB angeht.
Maarten-Jan Bakkum, Senior Emerging Market Strategist, NN Investment Partners
© NN Investment Partners

Maarten-Jan Bakkum, Senior Emerging Market Strategist, NN Investment Partners

In den letzten Monaten haben die chinesischen Behörden die gesetzlichen Bestimmungen für einige Bereiche des Unternehmenssektors verschärft. Investoren sind besorgt, dass weitere Eingriffe zu einer Verschlechterung des Geschäftsklimas in China führen könnten. Da die Regierung jedoch möchte, dass das Wirtschaftswachstum durch Investitionen des Privatsektors, Innovation und Produktivitätswachstum angetrieben wird, wird sie dafür sorgen, dass die regulatorischen Änderungen gezielt und mit minimalen Auswirkungen auf das Geschäftsklima insgesamt erfolgen. Die Regierung verfolgt fünf Hauptziele: Reduktion der Risiken im Finanzsystem, Schutz der Datensicherheit, Bekämpfung von Monopolen, Verringerung der Umweltbelastung und Abbau der Ungleichheiten. Um diese Ziele zu erreichen, ist die Regierung bereit, gegenüber dem Unternehmenssektor großzügiger zu sein. Daher wiegen die nationalen Interessen schwerer als die Interessen einzelner Unternehmen. Die gute Nachricht ist, dass die Bewertungen chinesischer Aktien bereits ein realistischeres Niveau erreicht haben und die Straffung der Mikroregulierung in einer Phase erfolgt, in der die Makroregulierung wieder gelockert wird.
Vladimir Oleinikov, EM Equity Strategist, Generali Insurance Asset Management S.p.A.
© Generali Insurance Asset Management

Vladimir Oleinikov, EM Equity Strategist, Generali Insurance Asset Management S.p.A.

Die Breite der staatlichen Regulierungen hat nicht nur die Märkte überrascht. Jedoch hat sich derweil ein tieferes Verständnis für die zugrunde liegende Motivation herausgebildet. Von außen betrachtet, erscheint das chinesische Wirtschaftswunder der letzten Jahrzehnte eine große Erfolgsgeschichte. In China selbst sieht sich der „Durchschnittsbürger“ jedoch oftmals nicht in der Lage, grundlegende Lebensziele zu erfüllen. Dabei stehen Wohnungseigentum und die erfolgreiche Ausbildung der Kinder hoch im Kurs. Eine solche „Frustration“ breiterer Gesellschaftskreise gefährdet den Führungsanspruch der KP. Peking ergänzt daher seine Entwicklungsziele um eine breitere Verteilung des Wohlstands. Wir sehen daher keinen grundlegenden Angriff auf den Kapitalmarkt. Wohl aber dürften sich geringere Renditen ergeben. Während diese Unsicherheiten sicherlich die Kurskorrektur rechtfertigen, könnte diese schon zu weit gegangen sein. Dies gilt insbesondere, wenn man Chinas Position innerhalb internationaler Bewertungsrelationen sieht. Kurzfristig bleiben wir wegen womöglich anhaltenden Marktvolatilität und einer Konjunkturdelle vorsichtig, sehen aber durchaus Aufwärtspotential auf mittlere Sicht.
Norbert Goerlitz, Managing Director, Argentum Asset Management
© Argentum Asset Management GmbH

Norbert Goerlitz, Managing Director, Argentum Asset Management

Die positiven Aussichten für China bleiben intakt

„East rising, West declining“ – der Osten steigt auf, der Westen steigt ab. Mit diesem Zitat aus der Global Times stimmen wir so nicht ganz überein, doch aus unserer Sicht gehört China definitiv in den Masterplan. Wir denken, dass jeder seinen Kenntnisstand und die bisherigen Erfahrungen mit China gründlich überdenken sollte – im Gegensatz zu George Soros hat sich etwa Cathie Wood von Ark Invest für China entschieden.

Wie viele Investoren waren auch wir wegen Chinas harschen Regulierungsmaßnahmen und der heftigen Kursverluste zunächst unsicher, schließlich machen chinesische Werte mehr als 23 Prozent in unserem „Argentum Dynamic Future“ aus. Aber: Die positiven Aussichten für China bleiben intakt. Nach Auswertung aller Analyse- und Fundamentaldaten und der Berücksichtigung von Indien als Alternative, glauben wir weiterhin an einen starken Binnenmarkt. Im Vergleich zu Indien beispielsweise hat China ein 5,5-faches Bruttoinlandsprodukt und eine doppelt so hohe Börsenkapitalisierung.

Künftig sollte jeder Investor selektiver bei der Auswahl vorgehen. Nicht alle Branchen in China sind von den Regulierungen beeinträchtigt – 5G, Wasserstoff-Technologie und Robotik bspw. .
Jean-Marie Mercadal, CEO von Synicap Hong Kong und Head of Investment Strategies, OFI Asset Management
© OFI Asset Management

Jean-Marie Mercadal, CEO von Synicap Hong Kong und Head of Investment Strategies, OFI Asset Management

China hat ähnliche gesellschaftliche Probleme wie der Westen, kann aber aufgrund seines politischen Regimes „den Stier bei den Hörnern packen“. Auch China kämpft mit einer niedrigen Geburtenrate, die das langfristige Wachstum belastet und die Finanzierung der Altersvorsorge erschwert. Das sich vergrößernde Wohlstandsgefälle gefährdet den sozialen Zusammenhalt. Es ist schwer, eine Familie zu gründen, wenn sowohl Immobilienpreise als auch Bildungskosten extrem hoch sind. Hinzu kommt ein gesellschaftliches Umdenken der jungen Generation: Die „Tangping“ Bewegung fordert das Recht auf Müßiggang. Die einschneidenden Maßnahmen der Regierung haben nicht nur die Kurse der großen Tech-Werte belastet, sondern auch die der privaten Bildungsunternehmen, der großen Spirituosenhersteller und sogar der in Europa notierten Luxusaktien. Diese Ereignisse und die Ungewissheit darüber, welche weiteren Einschnitte die Regierung zukünftig vornehmen könnte, können die Kurse kurzfristig weiter drücken. Langfristig aber steigt die Bedeutung chinesischer Aktien für internationale Portfolios, da sie in Indizes stärker vertreten sein werden und einige Branchen immer noch ein erhebliches Wachstumspotenzial haben.
Nicholas Yeo, Head of Equities China & Hong Kong, Aberdeen Standard Investments
© Aberdeen Standard Investments

Nicholas Yeo, Head of Equities China & Hong Kong, Aberdeen Standard Investments

Das rigorose Durchgreifen mag hart erscheinen, sollte aber im Zusammenhang gesehen werden. Die Behörden versuchen, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die Chinas Fortschritt in Richtung eines "gemeinsamen Wohlstands", einem strategischen Pfeiler einer gerechteren Wirtschaft, behindern. Sie versuchen nicht, den Privatsektor einzuschränken, der für Chinas Wachstum nach wie vor entscheidend ist. Die Bemühungen um den Schutz von Kundendaten, die Bekämpfung monopolistischer Praktiken, die Senkung der Kosten für grundlegende Güter und die Gewährleistung von Arbeitnehmerrechten entsprechen unserer Ansicht nach ähnlichen Zielen in den entwickelten Volkswirtschaften. Hauptunterschied bei China ist die Geschwindigkeit, mit der diese Politik umgesetzt wird. Dies hat die Anleger überrascht. Die Regulierungsbehörden werden sich weiterhin auf die Bereiche Internet, Bildung, Immobilien und Gesundheitswesen konzentrieren. Das heißt nicht, dass Anleger diese Sektoren meiden sollten. Wer wahllos verkauft hat, riskiert Chancen zu verpassen. Es bleibt entscheidend, Fundamentaldaten der Unternehmen zu verstehen, Prioritäten der Regierung im Auge zu behalten und diese Informationen klug einzusetzen.
Alastair Campbell, Investment Manager, Aegon Asset Management
© Aegon AM

Alastair Campbell, Investment Manager, Aegon Asset Management

Politische Veränderungen machen chinesische Aktien nicht uninteressant, aber sie zwingen die Anleger, ihre Portfolios anzupassen. Die Befürchtung der Anleger, dass China in eine Phase eintritt, in der die Vermögensbildung auf breiter Front eingeschränkt wird, ist übertrieben. Präsident Xi kündigte an, die Eigentumsrechte und die Rechte an geistigem Eigentum zu schützen. China braucht den Privatsektor, denn er stellt 80 % der Arbeitsplätze im Land und hat den Wohlstand geschaffen, der die Partei an der Macht gehalten hat.

Es ist eine Regulierungsinitiative im Gange, um den Wettbewerb zu fördern und die Rechte von Verbrauchern und kleinen Unternehmen in China zu schützen. Alle Länder stehen weltweit vor der Herausforderung, wie sie Internetmonopole regulieren können. Viele der chinesischen Internetunternehmen dürften langfristig immer noch gute Renditen abwerfen, aber es gibt kaum Anzeichen dafür, dass das derzeitige harte Durchgreifen der Regulierungsbehörden sich dem Ende nähert. Regulatorische Veränderungen werden bei einigen Unternehmen zu einer geringeren Rentabilität führen, andere Unternehmen werden weiterhin von der politischen Unterstützung profitieren.
Jie Song, Investment Specialist for Emerging Market and China, UBS Asset Management
© UBS Asset Management

Jie Song, Investment Specialist for Emerging Market and China, UBS Asset Management

Die chinesische Regierung ergreift seit Juli regulatorische Maßnahmen am Markt, was Anleger verunsichert und zu einer hohen Volatilität führt. Wir denken, dass diese andauern wird, weil die genauen Konsequenzen noch nicht absehbar sind. Dennoch sind wir der Meinung, dass die langfristigen positiven Wachstumstreiber Chinas intakt sind. Aus unserer Sicht gibt es vier langfristige wirtschaftliche Kräfte: Zum einen handelt es sich um Schwellenländertreiber, wie die wachsende Nachfrage nach höherwertigen Gütern sowie die Urbanisierung. Zum anderen hat China seine Produktion in der Wertschöpfungskette nach oben verlagert und fokussiert Bereiche wie Automatisierung, Technologie und Innovation. Der vierte Treiber ist der demografische Wandel. Durch die 30-jährige Ein-Kind-Politik altert die Bevölkerung sehr schnell. Langfristig gehen davon für China erhebliche Herausforderungen aus. Mittelfristig bedeutet das aber auch Impulse für Sektoren wie das Gesundheitswesen und der Vermögensverwaltung.
Patrick Linden, Geschäftsführer Deutschland und Partner, Clartan Associés
© Clartan Associés

Patrick Linden, Geschäftsführer Deutschland und Partner, Clartan Associés

Seit über 30 Jahren fokussieren wir uns bei der Titelwahl auf führende Firmen mit hoher Qualität in unterschiedlichen Sektoren. Die Corona-Pandemie und die schnelle Erholung Chinas hat uns im Jahr 2020 nach langer Beobachtung den Einstieg bei einigen chinesischen Aktien ermöglicht. Die kurzfristigen Kurskapriolen stellen für uns schlimmstenfalls Nachkaufgelegenheiten dar, langfristig sehen wir auch bei Tech-Werten unter den neuen regulatorischen Bedingungen Wachstumspotenzial, wie z.B. bei Alibaba. Das Unternehmen hat 2020 ein Umsatzwachstum von 17 % verzeichnet – das wird sich auch dieses Jahr im zweistelligen Bereich bewegen. Bei einem Umsatzwachstum von 12 % wäre Alibaba aktuell mit einem KGV von 16 zu bewerten. Das ergibt einen Kursabschlag von 32 % auf den aktuell geschätzten intrinsischen Wert und die Wachstumsdynamik. Und auch hochmoderne FinTech-Unternehmen im Gesundheits- oder Versicherungswesen, wie etwa PingAn, weisen stabile Wachstumsquoten mit Eigenkapitalrenditen oberhalb von 20% p.a. auf – trotz regulatorischer Einschränkungen, die in einigen Details durchaus ihre Berechtigung haben, um Wettbewerbsverzerrungen oder monopolistische Strukturen zu vermeiden.
Rob Almeida, Portfoliomanager und Globaler Investmentstratege, MFS Investment Management
© MFS Investment Management

Rob Almeida, Portfoliomanager und Globaler Investmentstratege, MFS Investment Management

China war schon immer ein stark regulierter Markt. Vorschriften werden erlassen, weiterentwickelt und manchmal wieder aufgehoben, und sie betreffen jeden Sektor. Daher haben chinesische Aktien ein größeres Risiko als die meisten globalen Aktien, und chinesische Internetaktien sind nochmal riskanter. Diese Risiken müssen jedoch gegen Chinas riesigen adressierbaren Gesamtmarkt abgewogen werden.

Einige der Risiken sind bekannt und über sie wird berichtet. Unser Ansatz besteht jedoch darin, eine breite Palette von Aufwärts- und Abwärtsrisiken zu analysieren, einschließlich extremer Ereignisse, um das Verhältnis zwischen Risiko und Ertrag zu optimieren. Wir prüfen jede Investitionsmöglichkeit in China gründlich unter dem Gesichtspunkt der langfristigen Nachhaltigkeit der Aktionärsrenditen, mit Fokus auf staatlicher Regulierung und Unternehmensführung. Wir wollen nicht die mit Investitionen in China verbundenen Risiken vermeiden, sondern sie sorgfältig abwägen. Denn es ist wichtig Unternehmen zu identifizieren, die von erfahrenen Unternehmern geführt werden, die in der Lage sind, innerhalb der staatlichen Strukturen zu wirtschaften und zu gedeihen. Das ist für uns der Sweet Spot.
Martin Lau, Portfoliomanager und Managing Partner, FSSA Investment Managers
© FSSA Investment Managers

Martin Lau, Portfoliomanager und Managing Partner, FSSA Investment Managers

Noch Ende des vergangenen Jahres hielten viele Anleger aufgrund der Wertentwicklung China für eine der besten Investitionsmöglichkeiten der Welt. Im Fokus waren vor allem chinesische Elektrofahrzeuge und Internetplattformen, da sie als ebenso stark wie die der USA galten.

Doch diese positive Stimmung hat sich kürzlich gedreht. Den Grund dafür liefern die stärkeren Regulierungen für Internetunternehmen und den Bildungssektor.

Unserer Meinung nach sind die strengeren Regulierungen nicht neu. China hat schon immer in das Marktgeschehen eingegriffen. Doch nun nehmen die Investoren das politische Top-Down-Risiko wahr. Wir empfinden das zunehmende Risikobewusstsein als vorteilhaft.

Schließlich ist der beste Investmentzeitpunkt, wenn die Risikoprämie hoch ist. Fällt der Aktienkurs für ein für uns interessantes Unternehmen um 20 Prozent, wird es unter den sonst gleichen Bedingungen attraktiver.

Wenn ein Unternehmen überzeugt und sich für die Zukunft höhere Gewinne erwarten lassen, ist die Rendite dieser Aktie nur begrenzt davon abhängig, ob China derweil ein oder zwei Branchen für weitere Regulierungen in den Blick nimmt. Entscheidend ist, dass die Aktienkurse den Gewinnen folgen.
Lars Kreckel, Global Equity Strategist, Legal & General Investment Management (LGIM)
© LGIM

Lars Kreckel, Global Equity Strategist, Legal & General Investment Management (LGIM)

2021 haben chinesische Tech-Aktien durch die staatlichen Eingriffe weltweit mit am schlechtesten abgeschnitten. Es hat eine Weile gedauert, bis sowohl Investoren als auch Chinas eigene Tech-Giganten erkannten, dass sie Zeugen eines strukturellen Wandels und nicht einer Reihe idiosynkratischer Ereignisse sind. Die Fundamentaldaten der Branche haben sich erheblich verschlechtert, und mangelnde Transparenz und ein wohl geringeres zukünftiges Gewinnwachstum rechtfertigen niedrigere Bewertungen. Doch es dürfte kaum in Chinas Interesse liegen, seine Tech-Champions zu zerstören.

Vielmehr sollen sich die Unternehmen stärker an den sozialen und politischen Zielen des Staates ausrichten, also etwa der Steigerung des Lebensstandards (z.B. durch Bildung), dem Schutz sensibler Daten (vor ausländischem Eigentum) oder der Reduzierung finanzieller Risiken (durch die Einschränkung von FinTech).

Aktuell ist Vorsicht geboten. Noch sind Dauer und Ausmaß der Regulierung unklar, so dass sich die Wirkung auf die Erträge der nächsten Jahre nicht einschätzen lässt. Unser Ansatz: Sich gegen ein Überschießen nach unten wappnen und in diesem Fall das Engagement in chinesischen Tech-Unternehmen erhöhen.
Lilian Co, Fondsmanagerin, E.I. Sturdza Strategic Management Limited
© E.I. Sturdza Strategic Management Limited

Lilian Co, Fondsmanagerin, E.I. Sturdza Strategic Management Limited

Wir haben unser Engagement in Technologie- und Bildungstiteln im Strategic China Panda Fund infolge des harten Durchgreifens der chinesischen Regierung und der anschließenden Marktturbulenzen reduziert. So reduzierten wir den Anteil der Bildungsaktien im Portfolio von 2 % auf 0,9 % und richteten das Portfolio stärker auf defensive Werte aus. Im Rahmen dieser Anpassungen haben wir die Allokation in Finanzwerten im Portfolio erhöht und die Cash-Position aufgestockt. Unserer Meinung nach ist das Worst-Case-Szenario bereits eingetreten. Bis zum vierten Quartal sollte sich die Lage wieder beruhigen. Wir glauben, dass der chinesische Markt auch für westliche Investoren noch ein großes Potenzial bietet. Als aktiver Vermögensverwalter beobachten wir die Situation kontinuierlich, um mögliche Abwärtsrisiken für unsere Anleger zu vermeiden. Gleichzeitig nutzen wir die Chancen, die sich in einem volatilen Markt ergeben. Insgesamt glauben wir, dass die Maßnahmen der chinesischen Regierung darauf abzielen, den Weg für ein langfristiges gesundes Wachstum der chinesischen Schlüsselindustrien wie dem Technologiesektor zu ebnen.
Prof. Dr. Jan Viebig, CIO, ODDO BHF
© ODDO BHF

Prof. Dr. Jan Viebig, CIO, ODDO BHF

Die jüngsten Massnahmen haben den internationalen Investoren vor Augen gehalten, dass China keine Marktwirtschaft im westlichen Sinne ist. Wir sind weiterhin vorsichtig bei Investments in China. Aktien aus dem Bildungssektor meiden wir vollständig, da hier das Geschäftsmodell langfristig in Frage gestellt wird. Die chinesische Regierung ist in einigen Geschäftsfeldern mit den Eingriffen aber sehr weit gegangen. Angesichts ihrer Strategie, bis zum Jahre 2049 zum Innovations- und Technologieführer aufzusteigen, dürften die Töne moderater werden. Erste Anzeichen für ein Entgegenkommen der Regierung wurden kürzlich sichtbar. So hat die chinesische Marktaufsicht das Gespräch mit führenden heimischen Investmentbanken gesucht, um mögliche Befürchtungen vor einer noch deutlicheren Marktbelastung durch weitere Regularien zu entkräftigen. In staatsnahen Medien wurde zudem verkündet, dass der Abverkauf an den Aktienbörsen wohl beendet sei. Eine vorsichtige Beimischung von Titeln aus Schwellenländern macht zudem aus Diversifikationsgründen Sinn. Hohe Gewichte in China verbieten sich jedoch aus Risikoaspekten: Die Politik der kommunistischen Partei in China bleibt ein wesentlicher Risikofaktor.
Heiko Böhmer, Kapitalmarktstratege, Shareholder Value Management GmbH
© Shareholder Value Management AG

Heiko Böhmer, Kapitalmarktstratege, Shareholder Value Management GmbH

In China wird ein Teil der Wertschöpfung umverteilt. Die Kommunistische Partei schöpft bei den Unternehmen mehr ab. Tatsächlich versucht die politische Führung so, soziale Ungleichgewichte abzufedern. Nun steigen u.a. die Unternehmenssteuern deutlich an. Doch selbst nach einem Anstieg der Steuern auf 25% ist das im internationalen Vergleich immer noch günstig. Daher bleibt China aus Investorensicht weiterhin spannend.

Ein politisches Risiko war eigentlich immer da, jetzt wurde es wieder deutlich. Aber einige Unternehmen, vor allem aus dem Technologiesektor, bieten so attraktive Shareholder Returns, dass wir diese Risiken für vertretbar halten.

Die direkten Eingriffe in die Wirtschaft haben die Aktien massiv belastet. Das mag bei Unternehmen aus den direkt betroffenen Sektoren wie eben E-Learning berechtigt sein. Doch viele große Tech-Giganten wie Alibaba oder auch Tencent Holdings sind ebenfalls massiv mit in den Abwärtssog gezogen worden. Das sehen wir als übertrieben an und haben die Positionen hier zuletzt aufgestockt, denn diese Konzerne haben breit diversifizierte Geschäftsmodelle, die trotz der Einschränkungen auch in Zukunft stabile Erträge versprechen.

Hagen Ernst, Stellvertretender Leiter Research & Portfoliomanagement, DJE Kapital AG
© DJE Kapital AG

Hagen Ernst, Stellvertretender Leiter Research & Portfoliomanagement, DJE Kapital AG

Plausible Ziele müssen nicht abschrecken: Der weitere Weg chinesischer Tech-Werte ist schwer einzuschätzen, weil nicht klar ist, ob und welche Regulierungen noch folgen. Wir haben unser Exposure deutlich reduziert, um auf Nummer sicher zu gehen. Bei Education-Aktien waren wir früher engagiert, zuletzt aber nicht mehr. Bei den Tech-Riesen hatten wir größere Positionen, die wir zu großen Teilen verkauft haben. Allerdings verfolgen Chinas Machthaber plausible Ziele: Nachhaltigkeit, mehr Datenschutz und Wettbewerb bzw. Machtbegrenzung einzelner Konzerne, gerechtere Löhne, Jugendschutz und gleiche Bildungschancen für alle. Die bislang verhängten Maßnahmen dürften das Gros der chinesischen Tech-Werte nur am Rande betreffen. Künftiges Wachstum muss aber nachhaltiger werden. Internetriesen wie Tencent oder Alibaba werden vermutlich etwas langsamer als der Markt wachsen, damit andere Anbieter Marktanteile gewinnen. So wäre es denkbar, in Sparten zu investieren, die weniger sensibel gegenüber Regulierungen sind, also etwa eher E-Commerce als Computerspiele. Mehr Wettbewerb ist für Alibaba als E-Commerce-Anbieter zwar von Nachteil, könnte sich aber für dessen kleinere Mitbewerber auszahlen.
Natasha Ebtehadj, Portfoliomanagerin für globale Aktien, Columbia Threadneedle Investments
© Columbia Threadneedle Investments

Natasha Ebtehadj, Portfoliomanagerin für globale Aktien, Columbia Threadneedle Investments

Viele Marktteilnehmer fragen sich, ob Investitionen in China angesichts der neuen politischen Gangart dort angebracht sind. Unserer Meinung nach ist es zu früh, um konkrete Schlüsse zu ziehen. Denn unserem Verständnis nach bekennt sich die chinesische Regierung nach wie vor zu den Prinzipien des Marktes. Verbote hinsichtlich der Gewinnorientierung von Unternehmen dürften sich auf den Bildungsbereich beschränken.

Die chinesische Wirtschaft entwickelt sich weiter. Dazu gehört, dass einige Unternehmen ihre Geschäftsmodelle anpassen. Wie die Gewinnprofile dieser Firmen in drei bis fünf Jahren aussehen werden, ist unklar. Unserer Schätzung nach betrifft dies etwa 40 Prozent des chinesischen Aktienmarktes. Infolgedessen dürfte es teilweise zu Bewertungsabschlägen kommen.

Gleichzeitig bleibt China die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, so dass sich weiterhin Anlagechancen bieten. Wir halten einige Unternehmen mit signifikantem China-Geschäft. Und wir sind optimistisch, was deren Wachstumsaussichten angeht – insbesondere, wenn ihre Geschäftsmodelle in Einklang mit den politischen Zielen stehen. Beispielsweise dürften Chinas Pläne zur Dekarbonisierung Herstellern von Elektrofahrzeugen und deren Zulieferern Rückenwind bescheren.
Brian Bandsma, Portfolio Manager, Vontobel Asset Management
© Vontobel

Brian Bandsma, Portfolio Manager, Vontobel Asset Management

Wer in China investiert, sollte sich im Klaren sein, dass die Entscheidungen der KPCh absoluten Vorrang haben. Unternehmen haben keine Möglichkeit, sich vor Gericht zu verteidigen. Auch wenn das chinesische Bekenntnis zu Kapitalmärkten und Privateigentum weiterhin Bestand haben dürfte, sollte klar sein, dass Investitionen in China mit einem erhöhten Risiko einhergehen.

Es mehren sich die Anzeichen, dass die Regierung erkennt, bei den Veränderungen zu schnell gewesen zu sein und dass ein ungeordneter Abverkauf an den Märkten die Volkswirtschaft schädigen kann. Daher ist damit zu rechnen, dass bald mehr getan wird, um den Abverkauf zu stabilisieren.

Sollte die Regierung ihr Ziel erreichen, den finanziellen Druck auf Haushalte und kleinere Unternehmen zu mindern, so wäre der erste Vorteil ein Anstieg der Ausgaben für zyklische Konsumgüter. Folglich dürften Unternehmen, die Basiskonsumgüter, zyklische Konsumgüter oder Reise- und Unterhaltungsangebote verkaufen, besonders schnell profitieren. Angesichts dieser Herausforderungen sollten sich Anleger auf die Zielsetzung der chinesischen Regierung abstimmen oder versuchen, nicht in jene Unternehmen zu investieren, die diesen Zielen im Wege stehen.
Mag. Patrick Poik, Head of Portfoliomanagement, MKP Invest Gesellschaft mbH
© Simon Kupferschmied Fotografie

Mag. Patrick Poik, Head of Portfoliomanagement, MKP Invest Gesellschaft mbH

Chinas Tech- und Internet-Giganten sind in das Visier der Behörden ihres Landes geraten. Von einer unerwartet massiven Regulierung war auch der private Bildungssektor betroffen: Die Aktie des E-Learning Anbieters TAL-Education verlor nach der Bekanntgabe, dass im Bildungssektor keine Gewinne mehr erwirtschaftet werden dürfen, an nur einem Handelstag -70% an Wert.

Das Umfeld für chinesische Unternehmen mit Tech- und Internet-Bezug wird schwierig bleiben; weitere negative Nachrichten sind nicht auszuschließen. Die Regulierungsoffensive der chinesischen Regierung, die ja bereits aus der Vergangenheit für ihre harte Linie bekannt ist, könnte durchaus auch noch länger anhalten.

Trotzdem wäre es möglich, dass sich die Redewendung "politische Börsen haben kurze Beine" bewahrheitet: Langfristig gesehen könnte der Rücksetzer bei chinesischen Aktien ein guter Einstiegszeitpunkt für spekulativ orientierte Investoren sein. Die Wachstumsaussichten des chinesischen Marktes bleiben attraktiv, ausgewählte Unternehmen weisen nach der jüngsten Korrektur eine historisch günstige Bewertung auf.
Nick Payne, Head of Strategy, Global Emerging Markets Focus, Jupiter Asset Management
© Jupiter

Nick Payne, Head of Strategy, Global Emerging Markets Focus, Jupiter Asset Management

100 Jahre nach Gründung der KPCh ist ein Umdenken der Regierung zu beobachten. Statt Wachstum um jeden Preis steht nun sozial inklusives Wachstum mit nachhaltigen Ergebnissen im Fokus. Die Regulierungszyklen sind jedoch nicht neu. Das harte Durchgreifen gegen private Bildungsunternehmen ist etwas anderes, aber schon vor einigen Jahren sagte Präsident Xi, dass er in diesem Bereich kein privates Kapital wünscht. Bei der Verschärfung der Vorschriften für Techunternehmen geht es um den individuellen Datenschutz (nach Vorbild der EU-DSGVO), verbessertes Arbeitsrecht und strengere Kartellvorschriften. Viele dieser Maßnahmen verdeutlichen, dass Unternehmen innovativ sind und neue Märkte erschlossen haben – und zwar so schnell, dass die Regulierungsbehörden nicht Schritt halten konnten.

Unsere Global Emerging Markets Focus Strategie weist im Vergleich zur Benchmark weiterhin ein unterdurchschnittliches China-Exposure auf, jedoch wird China für uns eine wichtige Quelle für Anlagemöglichkeiten bleiben. Wir haben die jüngste Kursschwäche genutzt, um Positionen in China selektiv aufzustocken und zwei neue Positionen in Unternehmen einzugehen, die nicht direkt von der Regulierung betroffen sind.
Mike Kerley, Portfoliomanager, Janus Henderson Investors
© Janus Henderson Investors

Mike Kerley, Portfoliomanager, Janus Henderson Investors

Die Maßnahmen selbst waren keine große Überraschung. Was einige Anleger vielleicht überrascht hat, ist das Ausmaß und der Zeitpunkt. Der Befehl von oben wurde von den Regulierungsbehörden überstürzt und ohne Koordination oder Berücksichtigung der Konsequenzen umgesetzt. Es war allerdings nur eine Frage der Zeit, bis der Internet-Sektor so groß wurde, dass er die staatlichen Zuständigkeiten tangiert. Und gleichzeitig war klar, dass ein Übermaß an Profitabilität in Kernbereichen wie Bildung, Gesundheit und Eigentum nur eine gewisse Zeit lang toleriert werden würde.

Zweifellos haben die neuen Regularien den Markt verunsichert. Kurz- bis mittelfristig wird dies andauern, aber sich legen, sobald wieder auf die Unternehmen und nicht auf die Regierungspolitik geachtet wird. Wir vermuten, dass die Gewinnkorrekturen in den kommenden Monaten gering ausfallen werden, da die Analysten ihre Margenerwartungen anpassen. Wir gehen davon aus, dass die Erträge weiterhin im Einklang mit einer Wirtschaft mit einem hohen einstelligen nominalen BIP-Wachstum wachsen werden, sodass sich vermutlich weiterhin Chancen ergeben werden.
David Striegl, Leiter Aktienfondsmanagement, KEPLER-FONDS Kapitalanlagegesellschaft
© KEPLER-FONDS KAG

David Striegl, Leiter Aktienfondsmanagement, KEPLER-FONDS Kapitalanlagegesellschaft

Selbstverständlich beobachten auch wir die News aus China ganz genau und sehen aktuell einen nervösen Markt, ausgelöst durch harte Regulierungsmaßnahmen, viele Unklarheiten und eine möglicherweise übertrieben negative Nachrichtenstimmung. Langfristig sind wir dennoch von Chinas wirtschaftlicher Entwicklung überzeugt und daher in Aktien chinesischer Unternehmen investiert. Allerdings legen wir bei unseren Investmententscheidungen Wert auf eine attraktive Bewertung der Unternehmen. Dieser Fokus hat uns bei den aktuellen Kursverlusten der relativ teureren China-Techs auch geholfen, positive Selektionsbeiträge mit chinesischen Aktien im Vergleich zum Gesamtmarkt zu erwirtschaften. Nichtsdestotrotz würde es uns nicht überraschen, wenn die Härte und Geschwindigkeit der Regulierung in China kurzfristig zu weiteren Kursrücksetzern führen würde. In diesem Fall wären wir als langfristig orientierter Asset Manager auch bereit, unser China-Exposure antizyklisch auf günstigen Niveaus zu erhöhen. So haben wir zuletzt beispielsweise eine kleine Position in der schwer getroffenen New Oriental Education & Technology Group Aktie in unserem KEPLER Ethik Aktienfonds aufgebaut.
Karl Freidl, Leiter Vermögens- /Fondsmanagement, Steiermärkische Bank und Sparkassen AG
© Steiermärkische Sparkasse

Karl Freidl, Leiter Vermögens- /Fondsmanagement, Steiermärkische Bank und Sparkassen AG

Aus unserer Sicht sind die Probleme bei chinesischen Aktien nicht ausschließlich auf das radikale Eingreifen in bestimmten Bereichen zurückzuführen. China hat seit Ausbruch der Corona-Krise die Notenpresse weit weniger angeworfen als vor allem die USA und Europa, sondern im Jahr 2021 die Kreditvergabe sogar gedrosselt. Dass neben vielen anderen Bereichen auch die Öffnung des Kapitalmarktes nicht von einem Tag auf den anderen erfolgt und auch sonstige Überlegungen eine gewisse Rolle spielen, sollte nicht zu stark beunruhigen. Auch die USA haben schon börsennotierte Firmen unter dem Vorwurf der Monopolstellung zerschlagen, etwa die Telefongesellschaft AT&T in den 1980er Jahren. Auch aktuell werden die Stimmen immer lauter, von Seite der Regierung etwas gegen Big Tech (Google und Co.) zu unternehmen. Aus unserer Sicht gehören chinesische Aktien mehr denn je in ein breit gestreutes Portfolio und wir stellen erste Überlegungen an, diese zu gegebener Zeit günstiger nachzukaufen. Chinas wirtschaftliche Transformation von einem Agrar- hin zu einem Industrieland ist nicht aufzuhalten und wird sich zunehmend auch an den Kapitalmärkten und der Börse widerspiegeln.
Catherine Yeung, Investment Director, Fidelity International
© Fidelity

Catherine Yeung, Investment Director, Fidelity International

Die jüngsten regulatorischen Änderungen bekräftigen unsere Ansicht, dass die politischen Entwicklungen in China weiterhin eng überwacht werden müssen. Sie bleiben ein Faktor bei Investitionen in China und müssen in das eigene Risiko-Rendite-Profil einbezogen werden.

Niemand kann die Details jeder politischen Maßnahme vorhersagen (wie z. B. die jüngste im Bereich Bildung), aber es ist wichtig, den historischen Kontext und die längerfristigen Ziele im Auge zu behalten. China hat klare Prioritäten in puncto Wirtschaftswachstum, darunter die (erneute) Verdopplung des Pro-Kopf-BIP bis 2035. Ein vitaler Privatsektor ist für die Erreichung dieses Ziels unerlässlich. Der Fokus auf Innovation wird ebenfalls immer wichtiger - viele der Unternehmen in den nun besprochenen Sektoren sind nicht nur große Arbeitgeber und Wachstumsmotoren, sondern auch Innovationsmotoren. China hat auch keinen Hehl aus seinen Zielen gemacht, was die Entwicklung seiner Kapitalmärkte und die Internationalisierung des RMB angeht.
Maarten-Jan Bakkum, Senior Emerging Market Strategist, NN Investment Partners
© NN Investment Partners

Maarten-Jan Bakkum, Senior Emerging Market Strategist, NN Investment Partners

In den letzten Monaten haben die chinesischen Behörden die gesetzlichen Bestimmungen für einige Bereiche des Unternehmenssektors verschärft. Investoren sind besorgt, dass weitere Eingriffe zu einer Verschlechterung des Geschäftsklimas in China führen könnten. Da die Regierung jedoch möchte, dass das Wirtschaftswachstum durch Investitionen des Privatsektors, Innovation und Produktivitätswachstum angetrieben wird, wird sie dafür sorgen, dass die regulatorischen Änderungen gezielt und mit minimalen Auswirkungen auf das Geschäftsklima insgesamt erfolgen. Die Regierung verfolgt fünf Hauptziele: Reduktion der Risiken im Finanzsystem, Schutz der Datensicherheit, Bekämpfung von Monopolen, Verringerung der Umweltbelastung und Abbau der Ungleichheiten. Um diese Ziele zu erreichen, ist die Regierung bereit, gegenüber dem Unternehmenssektor großzügiger zu sein. Daher wiegen die nationalen Interessen schwerer als die Interessen einzelner Unternehmen. Die gute Nachricht ist, dass die Bewertungen chinesischer Aktien bereits ein realistischeres Niveau erreicht haben und die Straffung der Mikroregulierung in einer Phase erfolgt, in der die Makroregulierung wieder gelockert wird.
Vladimir Oleinikov, EM Equity Strategist, Generali Insurance Asset Management S.p.A.
© Generali Insurance Asset Management

Vladimir Oleinikov, EM Equity Strategist, Generali Insurance Asset Management S.p.A.

Die Breite der staatlichen Regulierungen hat nicht nur die Märkte überrascht. Jedoch hat sich derweil ein tieferes Verständnis für die zugrunde liegende Motivation herausgebildet. Von außen betrachtet, erscheint das chinesische Wirtschaftswunder der letzten Jahrzehnte eine große Erfolgsgeschichte. In China selbst sieht sich der „Durchschnittsbürger“ jedoch oftmals nicht in der Lage, grundlegende Lebensziele zu erfüllen. Dabei stehen Wohnungseigentum und die erfolgreiche Ausbildung der Kinder hoch im Kurs. Eine solche „Frustration“ breiterer Gesellschaftskreise gefährdet den Führungsanspruch der KP. Peking ergänzt daher seine Entwicklungsziele um eine breitere Verteilung des Wohlstands. Wir sehen daher keinen grundlegenden Angriff auf den Kapitalmarkt. Wohl aber dürften sich geringere Renditen ergeben. Während diese Unsicherheiten sicherlich die Kurskorrektur rechtfertigen, könnte diese schon zu weit gegangen sein. Dies gilt insbesondere, wenn man Chinas Position innerhalb internationaler Bewertungsrelationen sieht. Kurzfristig bleiben wir wegen womöglich anhaltenden Marktvolatilität und einer Konjunkturdelle vorsichtig, sehen aber durchaus Aufwärtspotential auf mittlere Sicht.
Norbert Goerlitz, Managing Director, Argentum Asset Management
© Argentum Asset Management GmbH

Norbert Goerlitz, Managing Director, Argentum Asset Management

Die positiven Aussichten für China bleiben intakt

„East rising, West declining“ – der Osten steigt auf, der Westen steigt ab. Mit diesem Zitat aus der Global Times stimmen wir so nicht ganz überein, doch aus unserer Sicht gehört China definitiv in den Masterplan. Wir denken, dass jeder seinen Kenntnisstand und die bisherigen Erfahrungen mit China gründlich überdenken sollte – im Gegensatz zu George Soros hat sich etwa Cathie Wood von Ark Invest für China entschieden.

Wie viele Investoren waren auch wir wegen Chinas harschen Regulierungsmaßnahmen und der heftigen Kursverluste zunächst unsicher, schließlich machen chinesische Werte mehr als 23 Prozent in unserem „Argentum Dynamic Future“ aus. Aber: Die positiven Aussichten für China bleiben intakt. Nach Auswertung aller Analyse- und Fundamentaldaten und der Berücksichtigung von Indien als Alternative, glauben wir weiterhin an einen starken Binnenmarkt. Im Vergleich zu Indien beispielsweise hat China ein 5,5-faches Bruttoinlandsprodukt und eine doppelt so hohe Börsenkapitalisierung.

Künftig sollte jeder Investor selektiver bei der Auswahl vorgehen. Nicht alle Branchen in China sind von den Regulierungen beeinträchtigt – 5G, Wasserstoff-Technologie und Robotik bspw. .
Jean-Marie Mercadal, CEO von Synicap Hong Kong und Head of Investment Strategies, OFI Asset Management
© OFI Asset Management

Jean-Marie Mercadal, CEO von Synicap Hong Kong und Head of Investment Strategies, OFI Asset Management

China hat ähnliche gesellschaftliche Probleme wie der Westen, kann aber aufgrund seines politischen Regimes „den Stier bei den Hörnern packen“. Auch China kämpft mit einer niedrigen Geburtenrate, die das langfristige Wachstum belastet und die Finanzierung der Altersvorsorge erschwert. Das sich vergrößernde Wohlstandsgefälle gefährdet den sozialen Zusammenhalt. Es ist schwer, eine Familie zu gründen, wenn sowohl Immobilienpreise als auch Bildungskosten extrem hoch sind. Hinzu kommt ein gesellschaftliches Umdenken der jungen Generation: Die „Tangping“ Bewegung fordert das Recht auf Müßiggang. Die einschneidenden Maßnahmen der Regierung haben nicht nur die Kurse der großen Tech-Werte belastet, sondern auch die der privaten Bildungsunternehmen, der großen Spirituosenhersteller und sogar der in Europa notierten Luxusaktien. Diese Ereignisse und die Ungewissheit darüber, welche weiteren Einschnitte die Regierung zukünftig vornehmen könnte, können die Kurse kurzfristig weiter drücken. Langfristig aber steigt die Bedeutung chinesischer Aktien für internationale Portfolios, da sie in Indizes stärker vertreten sein werden und einige Branchen immer noch ein erhebliches Wachstumspotenzial haben.
Nicholas Yeo, Head of Equities China & Hong Kong, Aberdeen Standard Investments
© Aberdeen Standard Investments

Nicholas Yeo, Head of Equities China & Hong Kong, Aberdeen Standard Investments

Das rigorose Durchgreifen mag hart erscheinen, sollte aber im Zusammenhang gesehen werden. Die Behörden versuchen, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die Chinas Fortschritt in Richtung eines "gemeinsamen Wohlstands", einem strategischen Pfeiler einer gerechteren Wirtschaft, behindern. Sie versuchen nicht, den Privatsektor einzuschränken, der für Chinas Wachstum nach wie vor entscheidend ist. Die Bemühungen um den Schutz von Kundendaten, die Bekämpfung monopolistischer Praktiken, die Senkung der Kosten für grundlegende Güter und die Gewährleistung von Arbeitnehmerrechten entsprechen unserer Ansicht nach ähnlichen Zielen in den entwickelten Volkswirtschaften. Hauptunterschied bei China ist die Geschwindigkeit, mit der diese Politik umgesetzt wird. Dies hat die Anleger überrascht. Die Regulierungsbehörden werden sich weiterhin auf die Bereiche Internet, Bildung, Immobilien und Gesundheitswesen konzentrieren. Das heißt nicht, dass Anleger diese Sektoren meiden sollten. Wer wahllos verkauft hat, riskiert Chancen zu verpassen. Es bleibt entscheidend, Fundamentaldaten der Unternehmen zu verstehen, Prioritäten der Regierung im Auge zu behalten und diese Informationen klug einzusetzen.
Alastair Campbell, Investment Manager, Aegon Asset Management
© Aegon AM

Alastair Campbell, Investment Manager, Aegon Asset Management

Politische Veränderungen machen chinesische Aktien nicht uninteressant, aber sie zwingen die Anleger, ihre Portfolios anzupassen. Die Befürchtung der Anleger, dass China in eine Phase eintritt, in der die Vermögensbildung auf breiter Front eingeschränkt wird, ist übertrieben. Präsident Xi kündigte an, die Eigentumsrechte und die Rechte an geistigem Eigentum zu schützen. China braucht den Privatsektor, denn er stellt 80 % der Arbeitsplätze im Land und hat den Wohlstand geschaffen, der die Partei an der Macht gehalten hat.

Es ist eine Regulierungsinitiative im Gange, um den Wettbewerb zu fördern und die Rechte von Verbrauchern und kleinen Unternehmen in China zu schützen. Alle Länder stehen weltweit vor der Herausforderung, wie sie Internetmonopole regulieren können. Viele der chinesischen Internetunternehmen dürften langfristig immer noch gute Renditen abwerfen, aber es gibt kaum Anzeichen dafür, dass das derzeitige harte Durchgreifen der Regulierungsbehörden sich dem Ende nähert. Regulatorische Veränderungen werden bei einigen Unternehmen zu einer geringeren Rentabilität führen, andere Unternehmen werden weiterhin von der politischen Unterstützung profitieren.
Jie Song, Investment Specialist for Emerging Market and China, UBS Asset Management
© UBS Asset Management

Jie Song, Investment Specialist for Emerging Market and China, UBS Asset Management

Die chinesische Regierung ergreift seit Juli regulatorische Maßnahmen am Markt, was Anleger verunsichert und zu einer hohen Volatilität führt. Wir denken, dass diese andauern wird, weil die genauen Konsequenzen noch nicht absehbar sind. Dennoch sind wir der Meinung, dass die langfristigen positiven Wachstumstreiber Chinas intakt sind. Aus unserer Sicht gibt es vier langfristige wirtschaftliche Kräfte: Zum einen handelt es sich um Schwellenländertreiber, wie die wachsende Nachfrage nach höherwertigen Gütern sowie die Urbanisierung. Zum anderen hat China seine Produktion in der Wertschöpfungskette nach oben verlagert und fokussiert Bereiche wie Automatisierung, Technologie und Innovation. Der vierte Treiber ist der demografische Wandel. Durch die 30-jährige Ein-Kind-Politik altert die Bevölkerung sehr schnell. Langfristig gehen davon für China erhebliche Herausforderungen aus. Mittelfristig bedeutet das aber auch Impulse für Sektoren wie das Gesundheitswesen und der Vermögensverwaltung.
Patrick Linden, Geschäftsführer Deutschland und Partner, Clartan Associés
© Clartan Associés

Patrick Linden, Geschäftsführer Deutschland und Partner, Clartan Associés

Seit über 30 Jahren fokussieren wir uns bei der Titelwahl auf führende Firmen mit hoher Qualität in unterschiedlichen Sektoren. Die Corona-Pandemie und die schnelle Erholung Chinas hat uns im Jahr 2020 nach langer Beobachtung den Einstieg bei einigen chinesischen Aktien ermöglicht. Die kurzfristigen Kurskapriolen stellen für uns schlimmstenfalls Nachkaufgelegenheiten dar, langfristig sehen wir auch bei Tech-Werten unter den neuen regulatorischen Bedingungen Wachstumspotenzial, wie z.B. bei Alibaba. Das Unternehmen hat 2020 ein Umsatzwachstum von 17 % verzeichnet – das wird sich auch dieses Jahr im zweistelligen Bereich bewegen. Bei einem Umsatzwachstum von 12 % wäre Alibaba aktuell mit einem KGV von 16 zu bewerten. Das ergibt einen Kursabschlag von 32 % auf den aktuell geschätzten intrinsischen Wert und die Wachstumsdynamik. Und auch hochmoderne FinTech-Unternehmen im Gesundheits- oder Versicherungswesen, wie etwa PingAn, weisen stabile Wachstumsquoten mit Eigenkapitalrenditen oberhalb von 20% p.a. auf – trotz regulatorischer Einschränkungen, die in einigen Details durchaus ihre Berechtigung haben, um Wettbewerbsverzerrungen oder monopolistische Strukturen zu vermeiden.
Rob Almeida, Portfoliomanager und Globaler Investmentstratege, MFS Investment Management
© MFS Investment Management

Rob Almeida, Portfoliomanager und Globaler Investmentstratege, MFS Investment Management

China war schon immer ein stark regulierter Markt. Vorschriften werden erlassen, weiterentwickelt und manchmal wieder aufgehoben, und sie betreffen jeden Sektor. Daher haben chinesische Aktien ein größeres Risiko als die meisten globalen Aktien, und chinesische Internetaktien sind nochmal riskanter. Diese Risiken müssen jedoch gegen Chinas riesigen adressierbaren Gesamtmarkt abgewogen werden.

Einige der Risiken sind bekannt und über sie wird berichtet. Unser Ansatz besteht jedoch darin, eine breite Palette von Aufwärts- und Abwärtsrisiken zu analysieren, einschließlich extremer Ereignisse, um das Verhältnis zwischen Risiko und Ertrag zu optimieren. Wir prüfen jede Investitionsmöglichkeit in China gründlich unter dem Gesichtspunkt der langfristigen Nachhaltigkeit der Aktionärsrenditen, mit Fokus auf staatlicher Regulierung und Unternehmensführung. Wir wollen nicht die mit Investitionen in China verbundenen Risiken vermeiden, sondern sie sorgfältig abwägen. Denn es ist wichtig Unternehmen zu identifizieren, die von erfahrenen Unternehmern geführt werden, die in der Lage sind, innerhalb der staatlichen Strukturen zu wirtschaften und zu gedeihen. Das ist für uns der Sweet Spot.
Martin Lau, Portfoliomanager und Managing Partner, FSSA Investment Managers
© FSSA Investment Managers

Martin Lau, Portfoliomanager und Managing Partner, FSSA Investment Managers

Noch Ende des vergangenen Jahres hielten viele Anleger aufgrund der Wertentwicklung China für eine der besten Investitionsmöglichkeiten der Welt. Im Fokus waren vor allem chinesische Elektrofahrzeuge und Internetplattformen, da sie als ebenso stark wie die der USA galten.

Doch diese positive Stimmung hat sich kürzlich gedreht. Den Grund dafür liefern die stärkeren Regulierungen für Internetunternehmen und den Bildungssektor.

Unserer Meinung nach sind die strengeren Regulierungen nicht neu. China hat schon immer in das Marktgeschehen eingegriffen. Doch nun nehmen die Investoren das politische Top-Down-Risiko wahr. Wir empfinden das zunehmende Risikobewusstsein als vorteilhaft.

Schließlich ist der beste Investmentzeitpunkt, wenn die Risikoprämie hoch ist. Fällt der Aktienkurs für ein für uns interessantes Unternehmen um 20 Prozent, wird es unter den sonst gleichen Bedingungen attraktiver.

Wenn ein Unternehmen überzeugt und sich für die Zukunft höhere Gewinne erwarten lassen, ist die Rendite dieser Aktie nur begrenzt davon abhängig, ob China derweil ein oder zwei Branchen für weitere Regulierungen in den Blick nimmt. Entscheidend ist, dass die Aktienkurse den Gewinnen folgen.
Lars Kreckel, Global Equity Strategist, Legal & General Investment Management (LGIM)
© LGIM

Lars Kreckel, Global Equity Strategist, Legal & General Investment Management (LGIM)

2021 haben chinesische Tech-Aktien durch die staatlichen Eingriffe weltweit mit am schlechtesten abgeschnitten. Es hat eine Weile gedauert, bis sowohl Investoren als auch Chinas eigene Tech-Giganten erkannten, dass sie Zeugen eines strukturellen Wandels und nicht einer Reihe idiosynkratischer Ereignisse sind. Die Fundamentaldaten der Branche haben sich erheblich verschlechtert, und mangelnde Transparenz und ein wohl geringeres zukünftiges Gewinnwachstum rechtfertigen niedrigere Bewertungen. Doch es dürfte kaum in Chinas Interesse liegen, seine Tech-Champions zu zerstören.

Vielmehr sollen sich die Unternehmen stärker an den sozialen und politischen Zielen des Staates ausrichten, also etwa der Steigerung des Lebensstandards (z.B. durch Bildung), dem Schutz sensibler Daten (vor ausländischem Eigentum) oder der Reduzierung finanzieller Risiken (durch die Einschränkung von FinTech).

Aktuell ist Vorsicht geboten. Noch sind Dauer und Ausmaß der Regulierung unklar, so dass sich die Wirkung auf die Erträge der nächsten Jahre nicht einschätzen lässt. Unser Ansatz: Sich gegen ein Überschießen nach unten wappnen und in diesem Fall das Engagement in chinesischen Tech-Unternehmen erhöhen.
Lilian Co, Fondsmanagerin, E.I. Sturdza Strategic Management Limited
© E.I. Sturdza Strategic Management Limited

Lilian Co, Fondsmanagerin, E.I. Sturdza Strategic Management Limited

Wir haben unser Engagement in Technologie- und Bildungstiteln im Strategic China Panda Fund infolge des harten Durchgreifens der chinesischen Regierung und der anschließenden Marktturbulenzen reduziert. So reduzierten wir den Anteil der Bildungsaktien im Portfolio von 2 % auf 0,9 % und richteten das Portfolio stärker auf defensive Werte aus. Im Rahmen dieser Anpassungen haben wir die Allokation in Finanzwerten im Portfolio erhöht und die Cash-Position aufgestockt. Unserer Meinung nach ist das Worst-Case-Szenario bereits eingetreten. Bis zum vierten Quartal sollte sich die Lage wieder beruhigen. Wir glauben, dass der chinesische Markt auch für westliche Investoren noch ein großes Potenzial bietet. Als aktiver Vermögensverwalter beobachten wir die Situation kontinuierlich, um mögliche Abwärtsrisiken für unsere Anleger zu vermeiden. Gleichzeitig nutzen wir die Chancen, die sich in einem volatilen Markt ergeben. Insgesamt glauben wir, dass die Maßnahmen der chinesischen Regierung darauf abzielen, den Weg für ein langfristiges gesundes Wachstum der chinesischen Schlüsselindustrien wie dem Technologiesektor zu ebnen.
Prof. Dr. Jan Viebig, CIO, ODDO BHF
© ODDO BHF

Prof. Dr. Jan Viebig, CIO, ODDO BHF

Die jüngsten Massnahmen haben den internationalen Investoren vor Augen gehalten, dass China keine Marktwirtschaft im westlichen Sinne ist. Wir sind weiterhin vorsichtig bei Investments in China. Aktien aus dem Bildungssektor meiden wir vollständig, da hier das Geschäftsmodell langfristig in Frage gestellt wird. Die chinesische Regierung ist in einigen Geschäftsfeldern mit den Eingriffen aber sehr weit gegangen. Angesichts ihrer Strategie, bis zum Jahre 2049 zum Innovations- und Technologieführer aufzusteigen, dürften die Töne moderater werden. Erste Anzeichen für ein Entgegenkommen der Regierung wurden kürzlich sichtbar. So hat die chinesische Marktaufsicht das Gespräch mit führenden heimischen Investmentbanken gesucht, um mögliche Befürchtungen vor einer noch deutlicheren Marktbelastung durch weitere Regularien zu entkräftigen. In staatsnahen Medien wurde zudem verkündet, dass der Abverkauf an den Aktienbörsen wohl beendet sei. Eine vorsichtige Beimischung von Titeln aus Schwellenländern macht zudem aus Diversifikationsgründen Sinn. Hohe Gewichte in China verbieten sich jedoch aus Risikoaspekten: Die Politik der kommunistischen Partei in China bleibt ein wesentlicher Risikofaktor.
Heiko Böhmer, Kapitalmarktstratege, Shareholder Value Management GmbH
© Shareholder Value Management AG

Heiko Böhmer, Kapitalmarktstratege, Shareholder Value Management GmbH

In China wird ein Teil der Wertschöpfung umverteilt. Die Kommunistische Partei schöpft bei den Unternehmen mehr ab. Tatsächlich versucht die politische Führung so, soziale Ungleichgewichte abzufedern. Nun steigen u.a. die Unternehmenssteuern deutlich an. Doch selbst nach einem Anstieg der Steuern auf 25% ist das im internationalen Vergleich immer noch günstig. Daher bleibt China aus Investorensicht weiterhin spannend.

Ein politisches Risiko war eigentlich immer da, jetzt wurde es wieder deutlich. Aber einige Unternehmen, vor allem aus dem Technologiesektor, bieten so attraktive Shareholder Returns, dass wir diese Risiken für vertretbar halten.

Die direkten Eingriffe in die Wirtschaft haben die Aktien massiv belastet. Das mag bei Unternehmen aus den direkt betroffenen Sektoren wie eben E-Learning berechtigt sein. Doch viele große Tech-Giganten wie Alibaba oder auch Tencent Holdings sind ebenfalls massiv mit in den Abwärtssog gezogen worden. Das sehen wir als übertrieben an und haben die Positionen hier zuletzt aufgestockt, denn diese Konzerne haben breit diversifizierte Geschäftsmodelle, die trotz der Einschränkungen auch in Zukunft stabile Erträge versprechen.

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